Das Heulen des Steppenwolfs in 70 Minuten

In der Ecke einer dreieckigen Bühne in C 1.9 liegt ein großes Wolfsfell. Einige Requisiten stehen im Raum. Technisches Equipment. Schüler, die warten. Sie warten auf Harry Haller aus Hermann Hesses 1927 erschienenen Roman „Der Steppenwolf“, der sich als gespaltene Persönlichkeit zwischen Mensch und Wolf begreift. Dieser Haller leidet unter der Zerrissenheit (s)einer geistlosen Zeit, die von Krieg, Umbruch und Orientierungslosigkeit geprägt ist. Er ist gefangen zwischen einem Leben nach bürgerlichen Normen und einem fast selbstzerstörerischen Drang nach Freiheit von Konventionen.

Dem „Theatermobilespiele“ aus Karlsruhe ist es gelungen, den 278 Seiten starken Roman in 70 Minuten auf die Bühne zu bringen. Der Schauspieler Julian W. König, der - by the way - nach eigenen Aussagen auf derselben Schauspielschule wie Helene Fischer war, und die ihn begleitende Medienkünstlerin benötigen dafür nicht viel. Da „Theatermobilespiele“ kein klassisches Ausstattungstheater ist, müssen eine begehbare Bühne und wenigen Requisiten genügen. Diese besitzen Symbolcharakter. So verweist selbst die Leder-Wand der Bühne auf das Tierische, d. h. den Wolf in Harrys Seele. Und obwohl König ein Einmannstück aufführt, war er nicht alleine mit sich selbst. Ein Clou der Inszenierung liegt nämlich darin, dass König obendrein die anderen wichtigen Charaktere des Romans vorher eingespielt hat. Sie erscheinen nun als Projektionen auf kleinen Bildschirmen und spiegeln so die vielen Seelenanteile Hallers. Dabei brachten Tricks das Publikum zum Staunen, wenn beispielsweise Haller Hermine, die im Monitor steckt, seine Brille zum Putzen überreicht.   

Nach schauspielerisch eindringlichen, turbulenten und beeindruckenden 70 Minuten stellten sich König und seine Kollegin am Ende den Fragen der Kursstufenschüler. Diese wollten wissen, wie König zum Theater kam, wie lange es dauerte, bis das Stück bühnenreif war oder wie es ist, sich in so viele diverse Rollen einzufühlen, vor allem in die Rolle Hallers. Königs Antwort: „Ich war Haller früher selbst sehr ähnlich, kann ihn daher verstehen. Dass am Ende bloß die Akzeptanz der Steppenwolfanteile zum Glück führen kann, leuchtet mir ein. Wir haben schließlich alle Seiten an uns, die uns nicht gefallen.“

 

Carmen Wirsam-Mechel

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